Nach einer ersten Ausstellung in der Galerie im Jahr 2016, und nach der umfassenden Werkschau in der Hill Art Foundation im vergangenen Jahr in New York, zeigt die Galerie Diehl in ihrer kommenden Ausstellung aktuelle Arbeiten von Minjung Kim aus den Jahren 2020 und 2021.
Horizontale Linien, in fragiler Schwingung und changierender Tonalität auf großformatigen Papieren züngelnd gesetzt – aus der Dunkelheit ins Helle führend, oder aus der Helligkeit ins Dunkel? Punkte – wie Einschläge – pointiert, oder auch in schwingendem Pinselduktus umkreisend erspürt. Flächen, aus gegeneinander laufenden Linien gefügt oder aus seriell aneinander gereihten Kreisformen entfaltet. Mit einem Minimum an Aufmerksamkeit erheischender Materialität und Motivik erleben wir Bilder von immenser Intensität, in denen es pulsiert, in denen ein Herzschlag pocht, in denen sehnsüchtig gespanntes Leben einen Ausdruck luzider Klarheit findet.
Minjung Kim, geboren 1962 in Gwangju in Süd-Korea, ist eine der außergewöhnlichsten Künstlerinnen unserer Zeit. Bereits in ihrer frühen Kindheit ging sie bei einem Meister traditioneller asiatischer Zeichnungs- und Malkunst in die Lehre und wandte sich später, zwischen ihrem 13. Und 29. Lebensjahr, auch der Schulung ihrer erlangten Fähigkeiten auf dem Feld der Kalligraphie zu. Sie erlernte so, im täglichen Exerzitium der Konzentration, mit dem das Kalligraphische untrennbar verbunden ist, die hohe Meisterschaft und das Wissen um das filigrane Verhältnis zwischen Tusche und Papier. Wie die Tusche auf dem Papier sich verhält, in welche Richtung des Ausdrucks ein bestimmter Duktus des Pinsels führt, dieser Jahrtausende alten Maltechnik war Minjung Kim von Kindesbeinen an auf der Spur und machte sie mit Bravura zum Rüstzeug ihrer Kunst, einer Kunst unserer Gegenwart.
Über ihr Interesse an der europäischen Renaissance, das sich während ihres Studiums an der Hongik University in Seoul entwickelte, verließ Minjung Kim zusehends den in unseren Augen engen Rahmen der Motivik klassischer asiatischer Kunst, fand in den Konzepten westlicher Kunst und ihren minimalen Formen neue Sujets und brach auf in ein neues Terrain. Es zog sie in das Ursprungsland der Renaissance, nach Italien, wo sie an der Akademie der Künste in Brera ein weiteres Studium 1991 abschloss, und weiter voranging in der Entfaltung einer künstlerischen Handschrift, in der sie die traditionellen Techniken des Ostens mit den offenen Formen des Westens in einer sehr besonderen Verbindung zum Schwingen brachte.
Es sind die klassischen Hanji Papiere, gewonnen aus dem koreanischen Maulbeerbaum, berühmt für ihre saugfähige Transparenz, auf die Minjung Kim in zarter Präzision ihre Punkte, Linien und Formen in Tusche setzt. In einigen Werken spannt sie über die bereits existierende Tuschefläche ein weiteres Papier, das die existierende Zeichnung verhüllt. Um eine andere Sichtbarkeit zu erzeugen, setzt die Künstlerin auf das Element des Feuers; mit züngelnd rauchenden Stäbchen brennt sie Punkte oder Linien in das verhüllende Papier und legt so Momente der verborgenen Zeichnung frei, schürt mit kleinen Feuern die Sehnsucht nach einer allumfassenden Sichtbarkeit und beschreibt gleichsam ihr Geheimnis.
Minjung Kim arbeitet heute zumeist in seriellen Zyklen. Das ist zum einen die Art und Weise, in der die westliche Minimal Art sich formuliert; zum anderen klingt hier die täglich neue Auseinandersetzung mit dem vermeintlich Immergleichen, das stetige Kreisen um einen unerkannten inneren Kern – wie asiatische Philosophie und Kunst ihn formulieren – nach. Die oberflächliche Betrachtung, nach der Werke der Minimal Art allein der konzeptuellen Ratio der kalkulierten Vernunft sich verdanken, kontert Minjung Kim mit der Macht ihres Vermögens präziser asiatischer Zeichenkunst, die ohne konzentrierte Körperlichkichkeit nicht zu denken ist. Wie bei Agnes Martin oder auch James Lee Byars sind die minimalen Formen hier höchste Verdichtungen eines auch emotionalen Kosmos. Bei aller Einfachheit der Motivik spannen die Werke von Minjung Kim den großen Bogen, der alle Momente menschlicher Existenz umfasst, und so nicht trennt zwischen unserem intellektuellen und emotionalen Resonanzraum, sondern uns als Ganzes erfasst.