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KP Brehmer, Rohstoffpreis für Zink, Monats- Höchst- und Tiefkurse, Juli 1978-März 1979
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KP BREHMER
BILDER EINER AUSSTELLUNG
DATUM 29. Apr. 2022 - 07. May. 2022

KP Brehmer, Bilder einer Ausstellung, 1975, zehn Sonagramme auf Leinwand, René Block Gallery, New York, 1975, © 2022 KP Brehmer Nachlass, Berlin

Im Jahr 1875 setzte Modest Mussorgski  dem gerade gestorbenem Malerfreund Viktor Hartmann ein musikalisches Denkmal, indem er, tief beeindruckt von einerAusstellung des Künstlers, zehn seiner Bilder vertonte. Die Bilder gelten als verschollen. Einhundert Jahre später, 1975, übersetzte KP Brehmer die Musik zurück in zehn Bilder, anhand von Sonagrammen der musikalischen Hauptmotive. Das Projekt entstand aus Anlass der ersten Ausstellung des Künstlers in New York, 1975. Wie in der Komposition erklangen zwischen den Bildgruppen die von Mussorgsi komponierten Promenaden.

 

René Block


KP Brehmer, Bilder einer Ausstellung, 1975/2022, Acryl auf Leinwand, 96 x 136,5 cm, Audio, Galerie Volker Diehl, Mommsenstrasse 65, Berlin

Graphische Darstellungen akustischer Phänomene, die heutzutage mittels digitaler Signalverarbeitung selbst auf heimischen Computern zu studieren sind, ermöglichen Rückschlüsse auf die konkrete Identität von Schallereignissen. Bei einem Musikstück etwa sind nicht nur vereinzelte oder sich akkumulierende Klänge bestimmbar, sondern auch Lautstärken und konstante Rhythmen. Trotz eines vielfältigen Informationsgehalts ist die Basis jedoch neutrales Darstellungsmaterial, das die sinnliche Existenz einer lebendigen Musik nicht (mehr) enthält.

 

Dieses Spannungsfeld zwischen Abstraktion und konkreter, detaillierter Mitteilung spielt auch bei den von KP Brehmer als ´Tongemälde´ bezeichneten Bilder einer Ausstellung eine Rolle. Besagter Werkzyklus liegt in drei unterschiedlichen, im Laufe der 1970er Jahre entstandenen Versionen vor, von denen zwei als audiovisuelle Installationen konzipiert wurden.


KP Brehmer, Bilder einer Ausstellung - Ballett der unausgeschlüpften Küken, 1975/2022

Die Galerie Diehl zeigt die ursprüngliche Version, die nach ihrer ersten Präsentation in der New Yorker Galerie von René Block im März 1975 nun erstmalig wieder zu erleben ist. Dies hat auch damit zu tun, dass die durch einen Wasserschaden stark in Mitleidenschaft gezogenen Leinwände erfolgreich restauriert werden konnten.

 

Ausgangspunkt der Bilder einer Ausstellung ist die seit den 1920er Jahren populäre Orchestermusik gleichen Namens, die auf einem Klavierzyklus basiert, den Modest Mussorgski 1874 im Gedenken an seinen im Jahr zuvor verstorbenen Künstlerfreund Wiktor Hartmann komponiert hatte. Inspiriert von konkreten bildnerischen Arbeiten – darunter Portraits, architektonische Entwürfe und ausgearbeitete Skizzen für Ballettkostüme – waren zehn unterschiedliche, programmusikartige Charakterstücke entstanden.

 

KP Brehmer wiederum begann ab 1972 – also fast 100 Jahre später – mit einer ´Rückübersetzung´ der Musik Mussorgskis in ein visuelles Medium. Er realisierte zehn weiße Leinwandbilder, in deren Zentren sich jeweils eine kleine, blau-rote Bildkomposition befindet. Diese ist ober- und unterhalb jeweils von zwei horizontalen schwarzen Linien oder Balken ´eingefasst´, womit ein formelhaft reduzierter Filmstreifen assoziiert werden könnte. Die graphisch angelegten Zentren der Leinwände veranschaulichen abstrakte, horizontal-vertikal ausgerichtete Bildfindungen, deren konkrete Ausgestaltung einem ähnlichen Schema folgt. Im Kontrast zu den visuellen Ausgangspunkten für die Musikstücke Mussorgskis, die in Technik, Maße und auch in stilistischer Hinsicht heterogen ausfallen, erfolgte bei Brehmer eine Art ´Normierung´. Grundlage dieser vereinheitlichenden Darstellung ist eine elektronische, apparategestützte Umwandlung der Musik. Cirka fünf Sekunden dauernde Ausschnitte aus den zehn Stücken von Mussorgski – die charakteristischen musikalischen Motive – wurden im Auftrag des Künstlers mittels eines in der Phonetik und in der Bioakustik eingesetzten Sonagraphen in Schall- bzw. Klangspektrogramme übersetzt. Es entstanden bildliche Transformationen der Audiosignale bzw. der jeweiligen akustischen Strukturen.


KP Brehmer, Bilder einer Ausstellung - Der Ochsenkarren, 1975/2022

Brehmer konfrontierte in der ersten Präsentation der Bilder einer Ausstellung die szientifische Umwandlung in Sonagramme mit der Musik Mussorgskis. In René Blocks New Yorker Galerie waren zwischen den Bildtafeln sechs Podeste mit darauf sich befindlichen Kassettenrekordern installiert. Auf Endlosbändern gespeichert, konnten Besucher an den entsprechenden Stellen die jeweiligen Zwischenmusiken aus der Klaviersuite hören, mit denen Mussorgski die einzelnen ´Bildbeschreibungen´ des Zyklus´ verknüpft hatte. Diese jeweils als Promenade bezeichneten Einschübe variieren ein musikalisches Ausgangsthema, das die Vorstellung eines sich von Exponat zu Exponat durch die Ausstellung bewegenden Betrachters unter dem Eindruck der jeweiligen Kunstwerke evoziert.

 

Im Anschluss realisierte Brehmer noch eine Mappe mit zehn Schwarzweiß-Radierungen, die auch auf Basis der Sonagramme entstanden sind. Diese Edition wurde ebenso von der Galerie Block initiiert und vertrieben. Durch die Serie dieser Radierungen inspiriert, erarbeitete der amerikanische Komponist und Musiker Philip Corner eine weitere mediale Transformation der Bilder einer Ausstellung. Er komponierte eine zehnteilige Klaviermusik, die am 3. Februar 1980 im musikalischen Beiprogramm der von René Block kuratierten Ausstellung Für Augen und Ohren in der Berliner Akademie der Künste uraufgeführt werden sollte. Für diese Ausstellung hatte KP Brehmer 1979 eine dritte Version der Bilder einer Ausstellung erstellt, die allerdings nicht die bestehenden Sonagramme verwendet. Auf Basis aktueller technischer Entwicklungen erfolgte eine erneute Transkription der Audio-Ausschnitte mittels eines Bildschirm-Konverters. (Diese frühe Digitalisierung wurde, wie zuvor bereits die Sonagramme, am Institut für Kommunikationswissenschaft derTechnischen Universität Berlin durch Prof. Manfred Krause realisiert). Die auf Leinwände übertragenen Ergebnisse dieser Umwandlungen nehmen einen weitaus größeren Bereich in den Bildfeldern ein als in der früheren Version. Veranschaulicht sind unterschiedliche Zusammenstellungen aus farbigen Quadraten bzw. Pattern, womit Assoziationen zu sogenannter ´Computer-Kunst´ entstehen. 


KP Brehmer inszeniert mit den Bildern einer Ausstellung die Kluft zwischen objektivierenden Gestaltungsprinzipien und dem subjektiven Ausdrucksgehalt von Kunst. Neben einem dezidiert gesellschaftspolitisch orientieren Ansatz machen diese Untersuchungen einen zentralen Bestandteil seiner Arbeit aus. Dabei wurzelt Brehmers künstlerische, wie anti-künstlerische Haltung in der gesellschaftlichen Aufbruchszeit der 1960er Jahre. Anregungen erfolgten unter anderem durch den ironisch betitelten Kapitalistischen Realismus, sowie durch die konsum- und warenförmigen Aspekte, die mit der Pop Art in Erscheinung traten. Das Bestreben Brehmers, gesellschaftliche Wirklichkeit und eine daran angeschlossene Kritik der ´Verhältnisse´ auf eine reale und unbestechliche Art und Weise ins Auge zu fassen, veranlasste ihn dazu, statistische und numerische Daten auf Basis wissenschaftlicher Erhebungen zu verwenden – wobei allerdings die Frage nach der Bedeutung und dem Wert individueller künstlerischer Arbeit stets mitschwang.


KP Brehmer, Bilder einer Ausstellung - Die Hütte auf Hühnerfüßen (Baba-Jaga), 1975/2022

Doppelbödigkeiten in Brehmers Haltung kommen auch durch die konkrete Verfasstheit der Bilder einer Ausstellung zum Ausdruck. Der Künstler hat die zwar gemalten, aber doch sehr graphisch wirkenden Sonagramme relativ klein im Bildzentrum der Leinwände angesiedelt, wo sie wie appliziert anmuten. Graphik wird hier mit überkommener Tafelmalerei konfrontiert – einer Ausdrucksform, die in den frühen, und in zugespitzter Weise in den späten 1960er Jahren als Ausdrucksträger bürgerlicher Kultur diskreditiert wurde. (Ein ironischer Bezug zu bürgerlichen Präsentationsformen von Malerei kommt übrigens auch durch Brehmers Verwendung einer ´verschnörkelten´ Schrifttype für die Titelangaben zum Ausdruck, die auf Messingschildern unterhalb der Bilder zu lesen sind.)

 

Die bei Brehmer spürbare provokative Hybridisierung aus vermeintlicher Hochkunst (Malerei) und vermeintlich angewandter Kunst (Graphik) war natürlich seit den frühen 1960er Jahren bereits ein wichtiges Charakteristikum der Pop Art, etwa bei Andy Warhol oder bei Roy Lichtenstein. Dies spielt auch im Kontext der deutschen Rezeption der Pop Art, zunächst bei Gerhard Richter und insbesondere bei Sigmar Polke eine Rolle, der noch in den 1990er Jahren ganze Werkreihen aus ´Fehlstellen´ der mechanischen Rasterung von Zeitungsfotos generierte.

 

Historisch erweckt der serielle Charakter der Bilder einer Ausstellung zudem Assoziationen an die Minimal Art, die zwar in den USA gegen Ende der 1960er Jahre ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte, in Europa jedoch über weite Strecken noch die künstlerische Produktion bis Mitte/Ende der 1970er Jahre bestimmte, bevor sich dann erneut ein eindeutigeres Bekenntnis zur (Tafel)-Malerei zu etablieren begann.

 

Trotz KP Brehmers generellem Vorbehalt gegenüber tradierten Vorstellungen von künstlerischem Schöpfertum ist sein Zyklus Bilder einer Ausstellung aber auch als Hommage an einen Komponisten, bzw. an ein bedeutendes musikalisches Werk der Spätromantik/Frühmoderne zu verstehen. Brehmer bringt zwar seine Distanz zu den Elaboraten der bürgerlichen Kultur des 19. Jahrhunderts zur Anschauung, indem er diese datencodiert als Diagramme darstellt und so ihren ursprünglichen Gehalt ´auslöscht´, aber er veranschaulicht (vor allem aus heutiger Perspektive) auch die Dimension einer Entfremdung, die bis in die Gegenwart hinein wirkt. Auch so lässt sich Brehmers Arbeit aktuell verstehen; schließlich ist die Nivellierung von Kultur durch die Dominanz technizistischer Verfahren – etwa durch eine immer mehr Lebensbereiche erfassende Digitalisierung – ein Aspekt, der zunehmend virulent erscheint.