Ritzi Jacobi - Edge of darkness, Installationsansicht, Galerie Volker Diehl, Berlin, 2019 © Marcus Schneider
Mit Ritzi Jacobi stellt DIEHL eine herausragende Künstlerin der internationalen Avantgarde seit den 1970er-Jahren vor. Zugleich gehört sie zu den weltweit angesehenen Vertretern der zeitgenössischen Tapisserie, in einer Reihe mit Magdalena Abakanowicz und Jagoda Buić. Ritzi Jacobi erstellt ab 1967 abstrakte Textilreliefs in traditioneller Webtechnik. Bereits Ende der 1960er-Jahre werden die Werke, die zunächst in gemeinsamer Autorschaft mit Peter Jacobi entstehen, in Mailand, Lausanne und Edinburgh gezeigt; 1970 bespielen die Jacobis mit einem Ensemble aus Objekten in Naturmaterialien den Rumänischen Pavillon auf der Biennale Venedig. Auch nach der Übersiedlung nach Westdeutschland bleiben für sie anfänglich die Erfahrungen der Heimat präsent. Barbara Mundt spricht für die „Transilvania“-Werkgruppe von der „Majestät drapierter Zeremonialgewänder“ (Ausst.-Kat. Berlin 1975). Klaus Jürgen-Fischer wiederum verweist auf das „Aushorchen der Materialien auf ihre Formwilligkeit hin“: „Das Eingehen auf ihre Eigenwilligkeit und eigentümliche Beschaffenheit führt zu gleichsam 'natürlichen' Formationen“ (Ausst.-Kat. Baden-Baden 1977). Die Verwendung von Ziegen- und Pferdehaar unterstützt bei den „Transilvania“-Reliefs den elementaren Charakter der Erscheinung. Die erdfarbene Oberfläche wirkt schroff und verletzt. In seiner monumentalen Größe vereinnahmt das Relief den Betrachter und beschützt ihn zugleich. Als Folge der Verfahren der taktilen Verknüpfung, des Hängens und Fallens der Stoffbündel lässt sich eine Vielzahl gestischer Motive feststellen, die noch ein Interesse an der Struktur unserer Lebenswelt verdeutlichen. Weiterhin implizieren sie Modi, die für das gesamte Werk von Ritzi Jacobi gelten: die Erzeugung von Volumen mittels Schichtung und die Hinwendung zur Linie. Diese äußert sich in einer Vielzahl von Zeichnungen, die zwischen freien Formfindungen und Skizzen für einzelne Plastiken wechseln, und im linearen Vordringen plastischer Elemente in den Realraum: als Zeichnen im Raum.
Neben den Textilreliefs, die Ritzi Jacobi in großer Intensität mit unterschiedlichen Textilfasern als Rapport und konstruktive Ordnung im vermeintlichen Chaos anfertigt, entstehen nun zunächst plastische Werke mit gerafftem oder übereinander hängendem Reispapier, mit denen sie die Erzeugung von Körperlichkeit weiter verfolgt. In der Setzung dichter schwarzer, mithin verschatteter Partien auf den weißen Flächen evoziert sie daran anschließend Massen, die sich in der Balance halten. Dass Ritzi Jacobi ab den späten 1980er-Jahren mit dem Gewicht von Metall arbeitet, ist konsequent. Sie entwickelt aus Stäben und Platten räumliche Schraffuren und setzt Lochbleche gegeneinander, so dass die Flächen vibrieren und sich das Licht in ihnen verfängt und so an die Textilreliefs denken lässt. Und Ritzi Jacobi verbindet Metallflächen mit planen Kartonelementen, die aber ebenso auch, aneinander anschließend und mit Lackfarbe versehen, ausschließlich verwendet sind. Diese „Non-Folder“ verfügen in ihrem heterogenen Farbauftrag über eine offene Fläche. Auch hier wendet sich Ritzi Jacobi den Oberflächenreizen zu und stellt skulpturale Fragen anhand der industriellen Materialien neu. Dazu gehören Aspekte wie Hülle und Kern, Material und Immaterialität, Fläche und Raum, ein taktiles Erfühlen der Umgebung und die Behauptung des Volumens in dieser. Aber die Werke von Ritzi Jacobi gehen über die Fragen der Ästhetik und alles Spezifische ihres Fachs noch weit hinaus: Gegen eine zunehmende Virtualität unserer Zivilisation, die von der Glätte von Benutzeroberflächen geprägt wird, setzt sie die Erfahrung haptischer, leiblicher Einzigartigkeit. Sie befragt mit Formen, Rhythmen und Strukturen die Verfasstheit der Gegenwart, heute, hier.
Thomas Hirsch