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Ausstellung
OLGA CHERNYSHEVA
PERSON PROTECTED BY DRAWING
DATUM 08. Sep. 2013 - 09. Nov. 2013 Ort DIEHL

Olga Chernysheva - Person Protected By Drawing, Installationsansicht, Galerie Volker Diehl, Berlin, 2013 © Marcus Schneider

Olga Chernysheva zeichnet in letzter Zeit meist mit Kohle. Den im Alltag gefundenen Bildgegenständen und Figuren bleibt sie auch mit ihren neuesten Papierarbeiten treu. Doch wirken diese szenischen Motive und Sujets nun verdichtet und vielleicht sogar essentieller als in den bekannten farbigen Aquarellen der Künstlerin. Das liegt nicht nur daran, dass es sich oft um Abbilder existenzieller menschlicher Seinszustände handelt.

 

Wie Chernysheva selbst sagt, geht es ihr im Grunde um „die Form“ in oder hinter den Dingen. Nimmt man das wörtlich, erscheint Kohle zunächst als ältestes künstlerisches Material der umrisshaften Höhlenmalereien interessant und natürlich auch als Mittel der klassischen Bildhauerzeichnung. Doch in erster Linie sind Chernyshevas Zeichnungen eigenständige Bilder. Teilweise zeigen diese mit feinen Schraffuren modellierte Körper und nachempfundene Texturen (Seasons, Workplace, 1+4, Stand, Curve). Manche an sich taktilen Ausschnitte der Realität fixiert die Künstlerin gar mittels Frottage im direkten Abrieb auf dem Papier (Person protected by a bench). Noch dazu treten im Schwarz-Weiß ihrer neuen Arbeiten grafische Muster deutlich hervor (Floor, Seasons), und möglicherweise sind darüber hinaus „immanente Strukturen“ der Bilder und ihrer Motive erkennbar.

Ähnlich wichtig wie die Komposition eines Bildes ist für die Künstlerin dessen Rahmen. Er markiert das „Fenster zur Welt“, aber auch den Ausschnitt und die Begrenzung von Wirklichkeit. Der Rahmen „hält“ einerseits die von ihm umschlossenen Dinge und andererseits den Betrachter - auf Distanz. Diese vergrößert sich, wenn sich der Rahmen verdoppelt wie in Chernyshevas Zeichnungen nach Video- oder Filmstills: Der Filmausschnitt, manchmal schon eingefasst vom mitgezeichneten Monitor, fällt mit dem Blattrand zusammen und ergibt eindrücklich ein Bild nach einem Bild (Untitled, 2012, 2013 – Country and World, White Cable). Mitunter erscheint aber auch ein gerahmtes Gemälde in Chernyshevas Zeichnungen, das von einer Person betrachtet wird (Picture). Oder der Betrachter von und vor Chernyshevas Blättern wird zum imaginären Fernsehbild entsprechend dem Bildausschnitt einer gezeichneten Zuschauerin (TV).

Solche Ausflüge in die Spiegelwelt oder Metaebene mag die Künstlerin, wobei sie kein kurzweiliges Vexierspiel betreibt. Chernysheva führt den Betrachter ihrer Arbeiten zwar gern von Fenster zu Fenster, aber nicht an der Nase herum. Diskret lässt sie ihn – der paradox anmutenden Funktion des Bildrahmens entsprechend – die Grenzen wie den unendlichen Horizont seiner Wahrnehmung erkennen. Und sie zeigt, dass es ihr selbst nicht anders ergeht: In ihrer Serie Briefly setzt sie den gezeichneten Rahmen häufig kleiner als das jeweilige Blatt und damit deutlich sichtbar auf das Papier, so als ob sie das Bildgeschehen zweifach, also unbedingt, festzuhalten versucht. Dabei meint der mit Kohle umrissene Rahmen oft die Größe jenes Zugfensters, aus dem heraus die Künstlerin selbst „in die Welt“ gesehen und das so Geschaute dann gezeichnet hat: Im Wesentlichen Schemen.

 

Nach Plato ist der Künstler mit seinem stets mimetischen Werk nach den Gegenständen und Dingen noch weiter von der eigentlichen Idee derselben entfernt, als die Gegenstände und Dinge selbst. Damit hat Olga Chernysheva vermutlich kein Problem, scheint sie mittels ihrer Zeichnungen ja eben diese Entfernung zu reflektieren. Sie würde mit Plato wohl gleichfalls darin übereinstimmen, dass jeder Mensch ohnehin alle Ideen von den Gegenständen und Dingen in sich trägt, nämlich als „Erinnerungen der Seele“. Diese lassen sich zwar kaum visualisieren, sind aber dennoch grundsätzlich abrufbar.

 

Silke Opitz