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Ausstellung
KP BREHMER
VERLORENE ARBEITSTAGE
DATUM 28. Nov. 2020 - 20. Jan. 2021 Ort DIEHL

KP Brehmer- Verlorene Arbeitstage, Installationsansicht, Galerie Volker Diehl, Berlin, 2020 © Marcus Schneider

ZUM ONLINE VIEWING ROOM

 

In der Ausstellung "Verlorene Arbeitstage" zeigt KP Brehmer geometrische Kompositionen und farbenfrohe formale Erkundungen. Bei näherer Betrachtung sabotieren dünne, handschriftliche Bleistiftnotizen, Legenden und Beschreibungen auf unterschiedlichen Papieroberflächen - von standardisierten quadratischen bis hin zu handwerklichen und handgemachten - die anfängliche Betrachtung der Werke als "malerisch" durch den Betrachter. Entgegen dem Postulat der Konkreten Kunst, auf symbolische Bedeutung und die inhärente Verzerrung einer beobachteten Realität zu verzichten, visualisieren die in der Galerie gezeigten Werkserien aus den 1970er Jahren in der Tat alltägliche gesellschaftliche Bedingungen: die fiskalische Situation von New York City oder streikbedingte Arbeitsausfälle.

 

In Brehmers Development of Political Parties 1868-1972 (USA) (1977) ist ein rechteckiges blau-rotes Muster nicht nur ein Versuch, subjektive Entscheidungen in der Wahlkabine darzustellen, sondern selbst ein Bild, das von der eigenen sensorischen Reaktion abhängt: ein Bild, in dem die Reaktion auf das physikalische und chemische Spiel von Absorption und Reflexion der Wellenlängen und die damit verbundene Bedeutung der Farbe miteinander verwoben sind. Durch eine subversive Nachahmung der Tropen der Moderne werden hier Linie, Fläche und Farbe zu konkreten Manifestationen der Abstraktionen, die ein repräsentatives Machtsystem ausmachen. Es ist kein Zufall, dass gerade die Avantgarde-Kunst, auf die Brehmer sich bezog, zu jener Zeit die Kommando- und Kontrollzentren der westlichen Unternehmenshegemonie ausstattete.

 

Ein zentraler Mechanismus in der Praxis des Künstlers ist dabei die Art und Weise, wie er Entwicklungen des künstlerischen Diskurses, der populären Bildkultur, der Politik und der Ideologie zu Objekten verwebt, die stets aktualisierbar bleiben. So markiert das zweite, spätere Werk, das in der Ausstellung zu sehen ist, mit der Hinwendung zur Astrophysik und der Darstellung kosmischer Phänomene einen deutlichen Bruch in der künstlerischen Technik und im visuellen Sujet - und ist doch eindeutig eine Fortsetzung seines Projekts. Vermutlich entstanden diese Arbeiten in den 1980er Jahren, als Helmut Kohls Ausruf einer "geistig-moralischen Wende" und einer "Rückkehr zur Malerei" mit einem verstärkten Interesse an Individualismus und Selbstdarstellung zusammenfiel, das mit dem Abbau der Institutionen des Sozialstaats einherging.


Brehmers Verwendung von expressiven und organischen Gesten auf dem Papier spiegelt nicht nur die trendigen künstlerischen Stile der Zeit wider, sondern lotet auch die neuen wissenschaftlichen und medizinischen Mittel der Aufzeichnung und Sichtbarmachung aus. Seine Subversion der Illusion von Wissenschaftlichkeit und malerischer Subjektivität verzichtet sowohl auf die Autorität einer auferlegten Botschaft als auch auf eine Affirmation der (konstruierten) Welt: "Die Ansicht, dass die Wahrheit einer Aussage von der Präzision ihrer Äußerung abhängt, ist zwar plausibel, aber dennoch ein Vorurteil", so der Künstler. So entmystifizieren seine Werke behutsam inszenierte ikonografische Konstrukte, wie etwa einen kosmischen Jet in Kosmischer Jet I-III (undatiert), der in einer optischen Täuschung nur in superluminaler Bewegung "erscheinen" könnte: Ein fernes Objekt rast schneller als die Lichtgeschwindigkeit durch unsere Sichtlinie auf uns zu. 

 

Aus dem Englischen übersetzt - Originaltext von Elisa R. Linn & Lennart Wolff, 2020